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Kratzen, wo es juckt - Ein Gespräch mit GeorgGesprächüber die Free Softw


From: Georg C. F. Greve
Subject: Kratzen, wo es juckt - Ein Gespräch mit GeorgGesprächüber die Free Software-Bewegung in Europa
Date: Tue, 11 Feb 2003 16:53:31 +0100
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   Kratzen, wo es juckt

   Ein Gespräch mit Georg C. F. Greve über die Free Software-Bewegung in
   Europa.

   Von Peter Felixberger

   Freie Software für alle! Optimal und individuell angepasst an die
   einzelnen Bedürfnisse. Dagegen sind Monopolisten wie Microsoft mit
   ihren standardisierten Massenprodukten nicht mehr zeitgemäß, weil sie
   nur an sich selbst denken. Sie handeln überdies äußerst unklug. Denn
   es ist nur eine Frage der Zeit, bis die neuen Spielregeln der Free
   Software-Bewegung genügend Anhänger gefunden haben. Was hinter Free
   Software steckt und ob es ein Leben jenseits von Microsoft Word gibt,
   erläutert ein echter Szene-Kenner.

   [945_grewe.jpg] Der 29-jährige Georg C. F. Greve ist Präsident der
   Free Software Foundation Europe. Er lebt und arbeitet ehrenamtlich in
   Hamburg. Seit 1999 publiziert er die Kolumne "Brave GNU World", das
   monatlich in Deutsch, Englisch, Französisch, Japanisch, Spanisch und
   Koreanisch erscheint. Peter Felixberger traf den umtriebigen
   Aktivisten auf der DGB-Bildungstagung "Internet und Ökonomie" in
   Hattingen.

   Herr Greve, Sie fordern Freiheit für jede Software. Worin besteht
   diese Freiheit konkret? Microsoft-Programme für alle?
   Es geht um vier Freiheiten. Erstens die unbegrenzte Nutzung zu jedem
   Zweck, dann die Freiheit des Studiums, die Freiheit der Modifikation
   oder des Veränderndürfens und schließlich die Freiheit der Weitergabe.
   Bei Freier Software kann ich das alles tun, muss es aber nicht, wenn
   ich nicht will. Das bedeutet, dass, wenn ich eine Software weitergeben
   will, ich nicht gezwungen bin, das umsonst zu tun. Freie Software ist
   auch kommerziell und kann sogar verkauft werden. Wir wollen bewusst
   auch ein kommerzielles Leben mit Software fördern. Wenngleich es nicht
   der wichtigste Aspekt ist.

   Bill Gates ist demnach der Erfinder der unfreien Software. Er schafft
   eine Originalversion, die Kopie verkauft er mannigfach. Was ihn zum
   reichsten Mann der Welt gemacht hat. Ein gigantisches Monopol, das uns
   überdies ärmer macht, nicht nur finanziell, sondern auch, was die
   kreative Vielfalt betrifft. Word oder stirb?
   Man muss sich ein bisschen von der Frage lösen, es ginge um Microsoft
   versus Freie Software. Microsoft hat das System der unfreien oder
   proprietären Software am erfolgreichsten benutzt, was zu einem
   globalen Monopol führte. Dahinter aber steht ein allgemeines Prinzip:
   Proprietäre Software funktioniert zumeist gewollt nur reibungslos mit
   sich selbst. Damit zwingt ein Benutzer proprietärer Software andere
   dazu, dieselbe Software einzusetzen.
   Microsoft war überdies sehr geschickt, Konkurrenten aufzukaufen oder
   vom Markt zu drängen. Das Außen wurde sozusagen systematisch
   geschwächt. Dabei ist der Name Microsoft egal. Wenn nicht sie, wären
   es andere gewesen. Microsoft ist keineswegs die Wurzel allen Übels.
   Das System der proprietären Software hat immer die Tendenz zur
   Monopolisierung.

   Konkret: Gibt es überhaupt noch eine Alternative zu Word?
   Richard M. Stallman begann in den 80ern ein freies System namens GNU
   zu schreiben. Linus Torvalds hat dann 1991 den Linux-Kernel
   hinzugefügt. Auf dieser Basis wurden seither viele Programme
   geschrieben. Dazu gehören auch mehrere Office-Pakete. Eines ist
   OpenOffice.org, das ehemalige Star Office, das von SUN aufgekauft
   wurde und als freies Office-Paket herausgegeben wird. Dieses
   Office-Paket kann Word-Dokumente lesen und schreiben. Leider aber
   manchmal nicht die allerneueste Version, weil Microsoft ständig die
   Versionen ändert, um Konkurrenten die Kommunikation mit
   Microsoft-Produkten zu erschweren. Dennoch: Man hat heute mehr
   Freiheit und muss nicht mehr unbedingt Microsoft Word benutzen. Es
   gibt übrigens schon gesamte Unternehmen oder Verwaltungen, die auf
   OpenOffice umgestellt haben.

   Alte Kirchen und Denkmäler gelten als schützenswerte Kulturgüter. Muss
   man in der Neuen Ökonomie die Software als Kulturgut schützen?
   Software ist längst nicht mehr nur ein technisches Randphänomen für
   einige wenige. Software hat sich zu einem großen Teil bereits in unser
   Leben eingebettet. Studien aus den USA zeigen, dass jeder Mensch
   täglich 150-mal mit irgendeiner Software interagiert. Das bedeutet,
   dass Software einen erheblichen Einfluss auf unser tägliches Leben
   nimmt. Der Zugriff auf Software bestimmt deshalb immer mehr unsere
   Bildung, Kommunikation und Arbeitswelt. Was können wir lernen, mit wem
   können wir reden, welchen Job können wir ausüben?
   Gerade deshalb ist der Zugriff auf Software eine kulturelle Frage. Sie
   ist eine Kulturtechnik, ein Kulturgut. Und sie bewahrt ähnlich wie
   Bibliotheken unser heutiges Wissen. Es steckt ja außerordentlich viel
   Wissen in einem Code oder in der Art des Programmierens. Und wie wir
   in Bibliotheken das Wissen bewusst bewahren, müssen wir auch bei
   Software dafür sorgen, dass das Wissen nicht verloren geht. Auch für
   kommende Generationen. Bei proprietärer Software aber wird Wissen
   entwickelt und dann weggeworfen. Man sieht es nie wieder, hat keine
   Möglichkeiten, daraus zu lernen oder zu schauen, wie war das damals
   oder was hat man sich dabei gedacht. Es geht auf diesem Weg ständig
   permanent Wissen verloren.
   Freie Software will das darin vorhandene Wissen hingegen bewahren. Und
   deshalb will die Free Software Foundation Europe Freie Software von
   der UNESCO zum Kulturgut erklären lassen.

   Freie Software bewahrt dann vor allem auch die kulturhistorische
   Entwicklungslinie?
   Ja. Sie befindet sich in permanenter Evolution. Ähnlich wie in der
   Wissenschaft, wo eine Sache auf der anderen aufbaut. Das Aktuelle
   setzt auf die Vergangenheit auf. Viele kleine Schritte führen
   irgendwann zum großen Innovationsschritt. Das Modell, jemand sitze im
   dunklen Kämmerlein und schreibe fünf Jahre an irgendeiner Software,
   ist extrem wirklichkeitsfremd.
   Freie Software entwickelt sich immer im permanenten Dialog. Sie
   erlaubt ihn nicht nur, sondern fördert ihn geradezu.

   Freie Software wird deshalb auch in Gemeinschaften, in so genannten
   Entwicklergemeinden konfiguriert. Das bekannteste ist das GNU Business
   Network. Wie ist es entstanden und wie funktioniert es?
   Die Gemeinschaften entwickeln sich um eine oder mehrere Personen
   herum, die eine bestimmte Idee haben und diese umsetzen wollen. Ein
   paar Leute fangen also an, für eine Aufgabenstellung etwas konkret zu
   tun. Im Englischen nennt man das: Scratch your own itch. Kratze dich,
   wo es juckt. Es gibt außerdem eine wachsende Nachfrage nach Lösungen
   von außen. Es werden Bedürfnisse formuliert und gefragt, wer das
   machen kann. Es gibt also viele Formen des Dialogs, wie ein
   Freie-Software-Projekt beginnen kann.

   Doch an wen wende ich mich konkret? Wie heißen diese Leute?
   Kurz noch einmal: Proprietäre Software ist immer rein
   angebotsorientiert. Jemand schreibt ein Programm, dann versucht das
   Marketing Kunden zu überzeugen, dass man sie braucht. Bei Freier
   Software sagt der Kunde, was er braucht. In diesem Feedback, also was
   brauche ich eigentlich, beginnen sich die Dinge zu entwickeln.
   Das GNU Business Network ist hierfür eine Vision. Sie ist aber
   praktisch noch nicht umgesetzt, weil uns bisher die Ressourcen
   fehlten. Es wäre aber eine gewünschte Anlaufstelle. Es soll zum einen
   die Unternehmen mit den Entwicklern vernetzen. Und andererseits
   Unternehmen untereinander vernetzen, die gleiche Probleme haben, aber
   in unterschiedlichen Märkten aktiv sind. Man kann dann intelligenter
   und kooperativer zusammenarbeiten, ohne dass einem etwas verloren
   geht. Die Anwender wiederum sehen im Netzwerk, wen sie ansprechen
   können. Eine beiderseitige Gewinnbeziehung.

   Bei diesen Thesen müssen die Monopole doch aufjaulen. Denn Sie
   plädieren letztlich für ein One-to-One-Marketing zwischen Problem und
   Lösung. Wie reagieren SAP und Microsoft darauf? Konfrontation oder
   Kooperation?
   Sowohl als auch. Freie Software bedeutet ja auch einen nicht
   abschottbaren Markt. Das ist für einen Monopolisten zunächst eine
   schreckliche Vorstellung. Microsoft streut deshalb viele
   Fehlinformationen über Freie Software, um ihre eigene Stellung nicht
   zu schwächen. Es gibt aber auch andere Unternehmen, welche die
   Zukunftschancen erkennen. Denn längst wird der größte Umsatz in diesem
   Bereich über Service gemacht.
   SAP beispielsweise fördert geradezu das Servicemodell. Sie haben ihre
   SAP-DB-Datenbank bereits als Freie Software herausgegeben. SAP
   überlegt sich, wie sie die Vorteile Freier Software noch besser nutzen
   können.
   Es ist doch faktisch so, dass eine standardisierte Software nur mehr
   selten auf die speziellen Anforderungen eines Unternehmens passt. Es
   gibt in der Software-Geschäftswelt kaum ein "one size fits all".

   Urheberrechtlich ist Freie Software eher ungewöhnlich. Wer ist der
   eigentliche Lizenzgeber?
   Derjenige, der das Programm schreibt, hat das Urheberrecht. Im
   Zweifelsfall hat eine Firma die Rechte, wenn es in ihrem Auftrag
   erstellt wurde. Der Urheber kann es unter einer bestimmten Lizenz
   herausgeben und vermarkten. Das Urheberrecht verankert die Lizenz,
   aber die Lizenz gibt einem die Freiheiten, die ich oben im
   Zusammenhang mit Freier Software aufgeführt habe.

   Herr Greve, Sie sind ehrenamtlicher Präsident der Free Software
   Foundation Europe. Sieben Tage die Woche unterwegs auf Vorträgen und
   Diskussionsveranstaltungen. Viel Ehr, wenig Geld. Warum machen Sie
   das?
   Ich bin Diplom-Physiker und habe meine Diplomarbeit über
   Nanotechnologie geschrieben. Schon vorher habe ich mich sehr mit
   Computern beschäftigt. Während des Studiums habe ich für das
   Universitätskrankenhaus in Hamburg-Eppendorf ein Programm geschrieben.
   Meine ersten bewussten Kontakte mit Freier Software hatte ich Anfang
   der 90er Jahre. Mit der Zeit wurde mir klar, dass die Fragen, wie wir
   Menschen mit unserem Wissen umgehen und welche Grundregeln für das
   Informationszeitalter gelten, von essenzieller Bedeutung sein werden.
   Diese Fragen aber werden heute von Vertretern der alten industriellen
   Gesellschaft beantwortet. Wir lassen also die Regeln für das Morgen
   von den Mächtigen heute aufstellen.
   Irgendjemand muss aber diesen Part übernehmen. Mir war schnell klar,
   dass irgendjemand nicht existiert. Man tut es also, weil man die
   Notwendigkeit erkennt. Da ich mein Leben sinnvoll verbringen möchte,
   habe ich mich entschieden, die Sache durchzuziehen.

   Die Vertreter des Alten Regimes stellen die Regeln des Neuen Regimes
   auf. Welche Rolle spielt die Politik dabei?
   Die Politik befindet sich wie immer in einem Meinungskampf.
   Demokratisch legitimierte Volksvertreter treffen für ihre Bevölkerung
   Entscheidungen, um ihnen im besten Fall eine bessere Zukunft zu
   ermöglichen. Leider aber ist es nicht immer klar, was die beste
   Zukunft ist. Deshalb befindet sich der Prozess um Freie Software auch
   in einem Meinungskampf.
   Ein Teil versteht die Chancen Freier Software immer besser. Sehr
   viele, die indes einen guten Draht zur Medienindustrie haben, fürchten
   sich mehr um das Alte, als sich Gedanken über das Neue zu machen.

   Peter Felixberger ist Geschäftsführer und Chefredakteur von changeX.

   Kontakt:
   Georg C. F. Greve
   Chateauneufstraße 10
   20535 Hamburg
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